Samstag, 28. Dezember 2019

Mein Künstlerbuchprojekt Zeichenbeete und Fruchtbringer soll Naturbeobachtung mit Recherche über die Fruchtbringer in der HAB verbinden. In der eigenen Werkstatt entstünden die „Zeichenbeete“ mit Naturselbstdruck, Radierung, Prägung, Zeichnung, Buchdruck und Wasserzeichen. Die Bindung schützt die Zeichenbeete so, wie Samenkapseln Samen schützen. Dafür möchte ich gerne in der Restaurierwerkstatt der HAB arbeiten.
Samen und Gedanken werden ausgesät und setzen sich fest im Boden bzw. im Papier. Keimung findet verborgen in der Vertiefung statt. „Alles mit Bedacht“ war Herzog Augusts Motto. Die Befruchtung ist etwas Geheimnisvolles. Was war das Fruchtbringende in der Fruchtbringenden Gesellschaft, deren Mitglied Herzog August war, der Namenspatron der Bibliothek? Sein Gesellschaftsname war „der Befreiende“. Es gab nur sehr wenige Bauern bei den Fruchtbringern und keine Fruchtbringerinnen. Frauen wurden damals nicht als Mitglieder zugelassen. Wie war das mit der Devise „Alles zu Nutzen“? Was war das Nutzbringende der Fruchtbringer? Herzog August hat studiert und Reformen durchgeführt. Dazu würde ich in der Herzog August Bibliothek recherchieren. Herzog August hat auch über Kryptologie und Kryptographie geforscht und geschrieben, ein aktuelles Thema.
Hat das Nutz- oder Fruchtbringende mit Durchdringen und Durchleuchten zu tun? Wasserzeichenworte leuchten, wenn man sie gegen Licht betrachtet. Die Ausbreitung der Samen vergleiche ich mit der Ausbreitung von Licht und Wort, mit Aufklärung. „Eine Leuchte aus dunkler Urregion trat ein in das Verborgene aus dem Endlosen her … Der Verborgene im Verborgenen schlug spaltend rhythmisch in seinen Sphärenraum, bis ein Punkt aufblitzte. Dieser Punkt ist Reschit - Anfang - genannt und bildet das erste aller Worte. Dies ist Sohar, der Urglanz, aus dem alle Wörter geschaffen wurden im Geheimnis der Ausbreitung jenes verborgenen Punktes. Glanz, der Licht ist in den Häuptern der Vernunft Wirkenden.“ (aus: Der Sohar, Buch des Glanzes)
Samen verbreiten sich auch fliegend. Da spielen Flugbahnen eine Rolle, Schraubenflieger und Sturzflüge, Drehmomente und Drehgeschwindigkeit, bevor „Alles zu Nutzen“ auf der Erde landet. So könnten sich Wortbilder auf den zu Papier gewordenen Zeichenbeeten bewegen wie in Formgedichten des Barock.
Die „Zeichenbeete“ könnten sich auch ausbreiten aus der Herzog August Bibliothek heraus auf die Grünanlage davor im Rahmen eines kommunikativen Projekts mit Kindern, die geschöpfte Wortbilder aus Papierfaser auf Baumstämme aufgautschen. Damit wäre für die Verbreitung der Samen nutzbringender Weisheit gesorgt in einem Zeichenbeet außerhalb der herzoglichen Schatzkammer.




Ein Navigationsinstrument
Stefan Soltek, Klingspor Museum Offenbach, Dezember 2002
"Barbara Beisinghoff gehört zu jenen bildenden Künstlerinnen, die im 20. Jahrhundert
immer neue Akzente gesetzt haben, die Kunst des Handarbeitens, Entwürfe
umzusetzen zu einem vorbestimmten Gegenstand, umzudeuten in schrittweise
Versuchsanordnungen der Objekt- und Bildkunst. Dabei partizipiert sie an
Auswirkungen der an surrealistischen Vorbildern anknüpfenden Popkunst, die
Gattungen der Malerei und Skulptur um die des alltäglichen Materials und seiner
Verwendung zu erweitern. Die Objektbildnerei fand speziell im Umgang mit Papier zu neuen, ausgreifenden Formen.
Das Oeuvre fällt durch seine vielfältigen Wegrichtungen auf, in der Wahl der Papiere, der Techniken, im Wechsel von Einzelbogen, Mappen, kleinen, mittleren, großen Formaten. Die letzteren fallen jedoch besonders ins Gewicht. Offensichtlich besteht eine wesentliche Verbindung zwischen dem Selbstverständnis, das Ganze des Körpers im maximalen Gestus zu koordinieren, mit allen Facetten des Motorischen aus der inneren Versammlung heraus sich aus zu wirken, und der Charakteristik der Resultate: der Größe der Papiere und ihrer Komposition.
So groß sind die Siebe (und die Druckplatten), dass von einer Handhabung im Engeren kaum gesprochen, sondern von einer Bewältigung durch das synergetisch vermochte Zusammenspiel aller physischen Kräfte ausgegangen werden muß, um die Arbeit in Habitus und Erscheinung zu verstehen. Das gilt für die Radierungen, die über Jahre hin die Arbeit ausmachten, das gilt für die Verlagerung auf das Schöpfen von Papieren aus Sieben, denen reich verästelte Motive aufgenäht sind, die als Wasserzeichen ansichtig werden. Und auch die Gestaltung mit dem Wasser,das formbildend auf den Papierbogen gestrahlt wird, kommt aus dem Rhythmus der Körperbewegung heraus.
Planen und Ausführen verschmelzen, Denken und Intuition der Arbeit ebenso, die Person, die zum Bild finden will, muss zur Membran werden.
Sie bedient Sieb, Schlauch, Presse nur insofern, als sie denkbar weitestgehend selbst Sieb, Schlauch und Druckform wird. In dieser Weise agiert sie nicht mehr als klassische Grafikerin auf der
Papierfläche, sondern durchdringt sie. Wasserzeichen zu schaffen ist eben darin Ausdruck eines ins Innerste des Material Machbaren einzudringen, es zu durchwirken, um aus dieser Intuition eine umso notwendigere komplementäre Exploration folgen zu lassen.
So bringen sich die großen Bogen in Sequenzen und Gebilde ein, die Räume füllen, sie aufschließen für in ihnen zu entdeckende Kompositionen, Einschwingungen, Ausgrenzungen, Eintragungen, Ausmalungen, Auflistungen, Abteilungen, Aufschnitte, Abschnitte ...
Liest man somit den Dualismus der Arbeit, ihr Internes auf Bogen ein-, durch Bogen hindurchgehendes zum anderen, wird deutlich das körperlichgeistige Ich der Künstlerin erkennbar.
Dann stellt sich eine uralte Figur der Menschfindung ein, die darauf bedacht war, Innen und Außen im Menschen zu verdichten.
Gemeint ist die Figur des Zodiakus, der im Spätmittelalter etabliert wurde. Der Jahreslauf, zählbar im Rhythmus der Monate und betrachtbar in den Sternbildern, die in der Ellipse der Sonnenbahn aufscheinen, wurde am Körper des Menschen, seinem Werden und Vergehen, festgemacht. Auf den Körper wurden die Sternbilder einzeln so bezogen, dass jedem Organ einer der Himmelskörper entsprach. Damit erschloss sich der Körper als Organismus, der detailgetreu das Kerngeschehen des Firmaments, der Schöpfungsordnung überhaupt, abbildet, ja konzentrieren kann.
Barbara Beisinghoff streut Relikte des Erinnerns als loses Netz in die Fläche ihrer Bilder, kartografiert, was sie in sich verspürt. Ihre Papiere lesen sich als Ausdrucke und Abzeichen eines Navigationsinstruments, das sie selber ist, das sie ausübt, ausschöpft und damit, kontinuierlich seinen Radius erweiternd, in Gang hält."


Mein Künstlerbuchprojekt Zeichenbeete und Fruchtbringer soll Naturbeobachtung mit Recherche über die Fruchtbringer in der HAB verbinden....